Interview mit Zukunftsforscher Georges T. Roos

Georges_Roos
17. August 2011
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Als die Eisenbahn eingeführt wurde, warnten Mediziner, eine zweistellige Reisegeschwindigkeit führe zu Gehirnerweichung. Dass sie sich irrten, ist unser Glück. Dennoch hat uns die beschleunigte Welt verändert. Wie verhalten sich Vor- und Nachteile zueinander? Ist faul sein mittlerweile sträflich? Georges T. Roos, Gründer des Zukunfts-Think-Tanks „ROOS Büro für kulturelle Innovation“ und einer der führenden Zukunftsforscher der Schweiz, hat SchlafKultur in aller Ruhe ein paar Fragen zur modernen Hast beantwortet.

Guten Tag, Herr Roos, haben Sie gut geschlafen?

Danke für die Nachfrage. Ja. Ich schlafe meistens gut.

Ist Entschleunigung am Morgen eigentlich machbar? Schließlich bedeutet das, früher aufzustehen, um in Ruhe in die Gänge zu kommen. Und das geht auf Kosten des Schlafs.

Ich mag keinen Stress am Morgen. Ich gebe mir immer mindestens eine Stunde Zeit – egal wie früh ich irgendwo hin muss. Andere glauben, dass eine Viertelstunde länger im Bett ihnen gut bekommt. Für mich gilt das nicht.

Was genau ist eigentlich so schlimm an unserer schnellen Welt? Man könnte ja auch meinen, wir seien dadurch effizienter und würden auch mehr bewirken?

Beschleunigung ist an sich nichts Negatives. Wir erleben mehr in der gleichen Zeit, wir können mehr produzieren, konsumieren und kommunizieren. Und die richtige Dosis Stress ist ein willkommenes Gehirn-Fitness-Programm. Allerdings bewirken wir nicht mehr sondern weniger, wenn wir nicht mehr konzentriert sind, uns dauernd unterbrechen lassen und alles „auf die Schnelle“ erledigen wollen.

Hat die beschleunigte Welt nicht auch Vorteile – etwa einen gewissen Wohlstand für viele Menschen?

Zur Beschleunigung gehört die Globalisierung – sie ist Folge der technischen Beschleunigung. Allen Kritikern zum trotz darf man festhalten, dass es der Mehrheit der Menschen auf der Erde heute besser geht als vor 50 oder 100 Jahren – gemessen an der durchschnittlichen Lebenserwartung und dem verfügbaren Einkommen.

Haben sich die Menschen – gerade die jüngeren, die im Multitasking geübt sind – nicht längst an die neue Welt angepasst?  Grundsätzlich ist es doch eine gute menschliche Eigenschaft, sich ändern und anpassen zu können.

Sie bringen zwei Dinge durcheinander: Natürlich passen sich die Menschen der veränderten Umwelt immer wieder an. Wie sonst hätte die Menschheit überhaupt überlebt? Das Multitasking als eine Strategie zur Erhöhung des Lebenstempos funktioniert allerdings nicht: Das Stressniveau steigt an, Effizienz und Qualität nehmen ab. Forschungen zeigen, dass Frauen übrigens nicht besser multitasken als Männer.

Wem oder was schadet die Beschleunigung am meisten? Und wem oder was würde die Entschleunigung nützen?

Wir sollten weder aus Be- noch aus Entschleunigung einen Fetisch machen. Es braucht beides, der Takt ist entscheidend. Allerdings nehmen die Beschleunigungkrankheiten wie Depressionen, Burnouts oder ADHS deutlich zu. Ab und zu Tempo rausnehmen hilft, dem vorzubeugen.

Ein bisschen sind wir ja auch selbst an der Beschleunigung unserer Welt schuld. Wo ist der schmale Grat, an dem die Selbst- in Fremdbestimmung umschlägt – sprich: wie ist unsere rasende Welt zum Selbstläufer geworden, wer trägt die Verantwortung?

Wir haben unseren Anteil und dort können wir auch ansetzen. Den Ausstieg aus der Beschleunigung können wir uns allerdings in der Regel nicht leisten: Wir stehen unter hohem Druck, den Anschluss nicht zu verpassen. Eine Untersuchung der Universität Kalifornien hat ergeben, dass ein Büroarbeiter heute im Durchschnitt in 11.7 Projekte gleichzeitig involviert ist. Es ist daher kein Wunder, wenn der nach einer Stunde an einem Projekt unruhig überprüft, ob aus den 10.7 anderen Projekten nicht doch eine Dringlichkeit ansteht, die es verlangt, sich ihr unverzüglich zuzuwenden. Das verursacht Stress und Ineffizienz.

Man hat den Eindruck, dass Auszeiten früher besser geschützt und gesellschaftlich akzeptiert waren – ob Feierabend, Nachtruhe oder der Sonntag. Müssen wir uns schämen, wenn wir uns dem Sog der Hast entziehen und einfach mal faul sind?

Keineswegs! Damit beweisen Sie Selbstkompetenz.

Haben wir so sehr die Beziehung zu uns selbst verloren, dass wir nicht mehr erkennen, was uns schadet?

Es ist ja nicht sehr spaßig, immer das Vernünftige zu tun. Aber es ist sicherlich heute wichtiger als früher, dass wir lernen, auf die Signale unseres Körpers zu achten. Wenn wir uns einfach in den Strudel ziehen lassen, wird es leicht zuviel. Ansprüche und Reize überfluten uns.

Was passiert, wenn wir nicht endlich anhalten?

Ich plädiere keinenfalls für den Stillstand. Wie bei allem ist es die Dosis, die das Gift macht. Also statt nach Entschleunigung zu rufen, sollten wir einen Rhythmus zwischen den Polen suchen. Wer nur rennt und rennt und rennt, der endet leicht in einem Burnout.

Wie kann der „Ausstieg“ aussehen? Wo kann jeder von uns im Alltag ansetzen?

Es gibt viele Möglichkeiten. Ich gehe in den Wald, betreibe Sport, lese ein Buch, gönne mir den Grüntee am morgen, beantworte nicht immer jede Email unverzüglich, terminiere meine Projekte und mache ziemlich strikte Feierabende.

Bildnachweise:

Titelfoto: © Georges T. Roos

Kategorien: Gute Nacht